Unfaire Löhne sind Stress für das Herz

Eine ungerechte Bezahlung ist für das Herz genauso schlecht wie Zigarettenrauch, Fast-Food oder Bewegungsmangel. Eine Studie konnte den Zusammenhang mit Hilfe der Herzratenvariabilität aufzeigen. Den Ergebnissen zufolge wirken sich unfaire Löhne unmittelbar auf die Herzaktivität und damit auf die Lebenserwartung aus.

Die Bonner Wirtschaftswissenschaftler Professor Armin Falk und Fabian Kosse vom Institute on Behavior & Inequality (briq) hatten gemeinsam mit einem Team aus Mediziner und Soziologen ein Verhaltensexperiment durchgeführt und die Ergebnisse mit Befragungsdaten verglichen. Sie wollten wissen, ob zwischen unfairem Lohn und Gesundheit ein Zusammenhang besteht.

Simulation von Ungerechtigkeit

Für das Experiment wurden 80 Studenten von der Universität Bonn nach einem Zufallsprinzip in Zweier-Teams, bestehend aus “Chef” und “Arbeiter”, aufgeteilt. Während sich die Chefs einfach zurücklehnen und entspannen durften, mussten die Arbeiter 25 Minuten lang eintönige Rechenaufgaben lösen. In Tabellen mit lauter Einsen und Nullen sollten sie die Anzahl der Nullen bestimmen. Für jedes richtige Ergebnis gab es drei Euro. Je öfter die Arbeiter auf die richtige Anzahl kamen, desto mehr Geld erwirtschaftete das Team. Die Aufgabe der Chefs war im Anschluss, den Gewinn nach ihren eigenen Fairness-Vorstellungen aufzuteilen.

Durchschnittlich erwirtschaften die Teams im Experiment 20,93 EUR. Für die Einschätzung einer fairen Bezahlung befragten die Forscher im Vorfeld der Studie 45 männliche Studenten, wie sie das Geld aufteilen würden. Im Schnitt sprachen sie den Arbeitern 13,64 EUR und den Chefs 7,29 EUR zu. Tatsächlich erhielten die Studenten, die fleißig rechnen mussten, von ihrem “vorgesetzten” Teamkollegen nur 9,53 EUR Lohn. Gemessen an den Angaben für eine faire Bezahlung von den Außenstehenden, waren es 4,11 EUR zu wenig.

Messung der HRV-Änderung

Die Herzratenvariabilität (HRV) wurde bei den Studenten, die rechnen mussten, zweimal gemessen. Einmal zum Ende ihrer Rechentätigkeit und 15 Minuten nach Bekanntgabe der Gewinnaufteilung. Für die Messung der HRV wurde eine Polar-Uhr S810i mit Brustgurt verwendet. Bei diesem Modell (wird nicht mehr hergestellt) war es möglich, die Rohdaten auszulesen. Die Auswertung wurde mit einer früheren Version der Software Kubios HRV durchgeführt.

Für die Betrachtung der HRV wurde der RMSSD-Wert herangezogen. Er wird gerne in Studien verwendet, weil er sich schnell bestimmen lässt und eine Bewertung der Erholungsfähigkeit ermöglicht. Die Auswertungen beruhten auf den Empfehlungen der Task Force of The European Society of Cardiology and The North American Society of Pacing and Electrophysiology (ESC/NASPE) von 1996.

Auswirkungen auf die HRV

Die HRV war nach der zweiten Messung erniedrigt. Je stärker die Bezahlung von den als fair erachteten Löhnen abwich, desto ausgeprägter waren die körperlichen Stress-Symptome. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Unfairness unmittelbar auf das autonome Nervensystem auswirkt. Die erlebte Ungerechtigkeit wirkte sich körperlich als schlechtere HRV-Werte aus.

Gesundheitliche Einschätzung bestätigt die HRV-Werte

Die Ergebnisse der HRV-Analyse unter Laborbedingungen wurden mit den Erkenntnissen aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) verglichen. Diese größte und am längsten laufende Langzeitstudie gibt unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Gesundheit. Die kurzfristigen Effekte aus dem beschriebenen Laborexperiment decken sich mit den Erkenntnissen aus den langfristigen Erhebungen des SOEP. Auch hier findet sich ein Zusammenhang zwischen gefühlter Lohn-Ungerechtigkeit und dem eigenen Gesundheitszustand. Je häufiger sich Beschäftigte unfair bezahlt fühlten, desto schlechter schätzten sie ihren Gesundheitszustand ein. Eine genauere Analyse zeigte, dass die Betroffenen vor allem häufiger unter Herzkrankheiten litten. Die Wahrscheinlichkeit für ein Herzleiden erhöhte sich unabhängig von Alter und Geschlecht.

Wie groß die negativen Auswirkungen einer als unfair empfundenen Entlohnung auf die Gesundheit sind, wird in der Studie auf den Punkt gebracht: Bis zu zehn Jahre altert der Körper schneller.

Fazit

Eine faire Bezahlung sorgt also nicht nur für soziale Gerechtigkeit und hält die Motivation aufrecht, sondern auch für eine bessere Gesundheit. Nachdenklich muss die Erkenntnis machen, dass schlechte Bezahlung zu einem Teufelskreis führen kann: Der verschlechterte Gesundheitszustand wirkt sich auf die Leistungsfähigkeit aus und die Chancen, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, nehmen ab. Und die gefühlte Ungerechtigkeit wird dadurch verstärkt.

2 Gedanken zu „Unfaire Löhne sind Stress für das Herz“

  1. Liebe Frau Franke-Gricksch

    Vielen Dank für Ihre hervorragende Zusammenfassung der aktuellen Erkenntnislage zu diesem Ungerechtigkeitsaspekt, der insbesondere in einer bio-psycho-sozialen Modellsichtweise auf Stress einen entscheidenden Faktor darstellt.

    Eng verzahnt mit diesem Thema ist auch das Forschungsgebiet von Prof. Johannes Siegrist. Sein Gratifikationskrisenmodell bzw. die entsprechenden Erfassungswerkzeuge prüfen auf eine ausgewogene Balance zwischen den Merkmalen geleisteter Arbeit (Verausgabung) und der dafür erhaltene Belohnung.

    Besteht keine Balance von Verausgabungen und Belohnungen im Erwerbsleben, etwas durch eine hohe Arbeitsintensität gepaart mit einer hohen individuellen Verausgabungsneigung auf der einen Seite sowie geringe immaterielle und monetäre Belohnungen auf der anderen Seite, resultiert dies in dauerhaften und immer wiederkehrenden Aktivierungen im Zentralnervensystem auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit, aber auch auf andere Gesundheitsbereiche aus.

    Diese Beziehung wird durch weitere Risikofaktoren wie Übergewicht, Zigarettenrauchen und Bewegungsmangel noch verstärkt. Dann besteht ein allgemein erhöhtes Erkrankungsrisiko.

    viele Grüße,

    Michael Lutz

  2. Jetzt wird es spannend: hier belegen schulmedizinisch-naturwissenschaftliche Erkenntnisse/Daten (-> hard facts) Thesen normativ-sozialwissenschaftlicher Forschung (eher -> soft facts). Sind gerechte Löhne also auch rein wirtschaftlich im Interesse der Arbeitgeber? Ihre Produktivkräfte würden schließlich länger und gesunder leben – und mehr leisten können. Sehr spannend solche Überlegungen! (An unserer aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung etwa bei der Wohlstandsdistribution wird das wohl so schnell nichts ändern.)

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